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Kombinationsleistung clever nutzen für mehr Betreuung und Entlastung

Wenn die Kinder größer werden, reichen Pflegegeld und Verhinderungspflege manchmal nicht mehr aus, um die Betreuung unserer Kinder am Nachmittag und Wochenende gut abzudecken. Welche Ressourcen stehen zur Verfügung? Zum einen natürlich Eingliederungshilfe [Link], die aber nicht für alle in Frage kommt. Gut, dass es inzwischen die Möglichkeit der „Kombipflege“ in Kombination mit der Umwandlung des Sachleistungsbetrags in Entlastungsleistungen gibt!

Das klingt erstmal kompliziert – ist aber gar nicht so schwierig. Lasst uns am Anfang anfangen: Wir benötigen zunächst Pflegegrad 2-4 um in den Genuss von Pflegegeld, Sachleistung oder eben Kombinationsleistung zu kommen.

Ihr habt noch keinen Pflegegrad, oder seid nicht sicher, ob der PG angemessen ist? Im Seminar „Pflegegradwissen kompakt“ oder in einem 1:1-Coaching könnt ihr das überprüfen

Denn: Wer pflegebedürftig ist, kann zwischen 3 Optionen wählen:
1. Pflegegeld für selbstbeschaffte Pflegehilfen nach §37, SGB XI
Also: Ehrenamtliche Pflege zu Hause OHNE Einbeziehung eines Pflegedienstes (100% Pflegegeld)
2. Pflegesachleistung nach §36, SGB XI
Also: Ambulante Pflege durch einen Pflegedienst zu Hause (100% Pflegesachleistung) (§36)
3. Kombination von Geldleistung und Sachleistung nach § 38, SGB XI
Das heißt: Eine Kombination aus beidem zu beliebigen Anteilen

Warum Kombinationsleistung nutzen?
Diese Kombinationsleistung ist jetzt für uns interessant. Im Gesetz steht nämlich:
Nimmt der Pflegebedürftige die ihm nach § 36 Absatz 3 zustehende Sachleistung nur teilweise in Anspruch, erhält er daneben ein anteiliges Pflegegeld im Sinne des § 37.“

Das bedeutet: Ihr könnt z.B. einen Pflegedienst beauftragen um Euer Kind einmal pro Woche Baden zu lassen oder um andere Leistungen in Anspruch zu nehmen. Dafür gibt es das Pflegesachleistungsbudget, das nach Pflegegrad gestaffelt ist:

Pflegegrad12345
Pflegesachleistung724 €1363 €1693 €2095 €

Das Pflegesachleistungsbudget ist höher als das Pflegegeld – weil Pflegedienste ja auch Sozialversicherung, Steuern, Betriebskosten etc. zahlen müssen. Gerade in der Betreuung von Kindern und Jugendlichen, wird das Pflegesachleistungsbudget so gut wie nie voll ausgeschöpft. Dann bekommt die Familie das „anteilige Pflegegeld im Sinne des § 37“ – also eine Kombinationsleistung.

Was ist „anteiliges Pflegegeld“?

Angenommen also ihr würde im Pflegegrad 3 monatlich Euer Kind einmal von einem Pflegedienst Baden lassen und das kostet 136,30 €. Dann hättet ihr 10 % des Pflegesachleistungsbudgets ausgegeben. 90% des Budgets wurden also nicht verwendet. Euch stünden also diese 90 % als Pflegegeld zu. Wieviel das ist? Dafür schauen wir in die Pflegegeld-Tabelle:

Pflegegrad12345
Pflegegeld316 €545 €728 €901 €

In diesem Fall wären 90% von 545 € gemäß 490,50 €, die Euch noch als anteiliges Pflegegeld zustehen. Die allermeisten Eltern würden allerdings nie einen Pflegedienst für ihr Kind nutzen. Baden, Duschen, Windeln wechseln, Medikamente stellen – das wird üblicherweise von den Familien selbst geregelt. Deswegen ist diese Option eher Familien mit älteren Jugendlichen oder sehr pflegeintensiven Kindern bekannt.

„Anteiliges Pflegegeld“ spielt übrigens auch eine Rolle, wenn die Kinder in einer „vollstationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen“ leben aber am Wochenende nach Hause kommen. Dann bekommen die Familien nämlich für diese Tage auch das volle „anteilige Pflegegeld“.

Auch jene die Kurzzeitpflege nutzen oder die tageweise (nicht stundenweise!) Verhinderungspflege beziehen, kennen das „anteilige Pflegegeld“: Denn während Euer Kind in der Kurzzeitpflege ist oder mehr als 8 Stunden an einem Tag durch eine Verhinderungspflegekraft gepflegt wird, erhaltet ihr „50% anteiliges Pflegegeld“. Was bedeutet, dass das Pflegegeld für dies Tage um 50% gekürzt wird. Oder eben trotzdem ihr nicht selbst pflegt 50% weitergezahlt wird. Bis hierher klar?

Pflegesachleistung ohne Pflegedienst nutzen: Die Nachbarschaftshilfe

„Marion – was soll das alles nun? Wir wollen doch gar keinen Pflegedienst buchen! Außerdem ist das alles eh zu teuer! Wie soll mir das konkret bei der Betreuung meines Kindes helfen???“ höre ich jetzt einige denken. Und ihr habt Recht! In der Vergangenheit habe ich meine Klientinnen deswegen fast nie auf die Kombileistung hingewiesen.

Aber nun wird es interessant, denn es gibt auch noch die UMWANDLUNG von Pflegesachleistungen in den Entlastungsbetrag. „Das sind doch diese 125,-€ im Monat für die ich 2 Körbe Wäsche gebügelt bekomme??“ fragt ihr Euch jetzt vielleicht. Richtig! Genau die! Nach §45a „tragen diese Angebote zur Unterstützung im Alltag bei, Pflegepersonen zu entlasten, und helfen Pflegebedürftigen, möglichst lange in ihrer häuslichen Umgebung zu bleiben, soziale Kontakte aufrechtzuerhalten und ihren Alltag weiterhin möglichst selbständig bewältigen zu können“.

Was genau darunter fällt ist häufig unklar, denn im Juristendeutsch geht es hier um die “Leistungen der nach Landesrecht anerkannten Angebote zur Unterstützung im Alltag im Sinne des § 45a“ Das bedeutet, dass die Anbieter der „Entlastungsleistungen“ nach Landesrecht anerkannt sein müssen. Es gilt also die Vorgabe des Bundeslandes in dem ihr lebt. In vielen Bundesländern heißen diese Angebote „Familienentlastende Dienste“, „Alltagsbegleitung“, „Pflegebegleitung“ oder einfach „Betreuungs- und Entlastungsleistungen“ und die Anbieter müssen von den Behörden genehmigt werden.

In den allermeisten Bundesländern gilt allerdings spätestens seit der Pandemie, dass hier auch „Nachbarschaftshelfer“ eingesetzt werden können. Und DAS wiederum liefert richtig viele Betreuungsstunden. Welche Kompetenzen und Qualifikationen die Nachbarschaftshelfer mitbringen müssen ist auch nach Landesrecht geregelt, aber diese Regelungen wurden auch in der Pandemie erheblich vereinfacht – und diese Vereinfachungen wurden oft bisher nicht zurückgenommen. Meistens reicht ein Online-Kurs zur Qualifizierung und manchmal hat ja auch die von Euch gewünschte Kraft sowieso schon Qualifikationen. Ihr könnt bei den Behörden Eures Bundeslandes oder bei Eurer Krankenkasse nun also erfragen, ob Nachbarschaftshilfe für den Entlastungsbetrag eingesetzt werden kann. Und wenn ja, dann wird es hier spannend:

Praxisbeispiel

Angenommen Deine liebe Nachbarin betreut Dein Kind sowieso gern und würde das durchaus auch öfter tun. Vielleicht war sie früher Kindergärtnerin oder hat Kurse fürs Jugend-Rot-Kreuz gegeben oder ist Übungsleiterin beim Kinderturnen – das könnte schon für eine Anerkennung reichen. Vielleicht ist sie aber auch Friseurin und die Krankenkasse möchte eine Qualifikation haben, die sie aber oft als Online-Kurs machen kann. Diese nette Frau würde jetzt für 10,-€ die Stunde Dein Kind betreuen. Die 125,-€ Entlastungsbetrag reichen dann für 12,5 Stunden im Monat. Super. Aber vielleicht brauchst Du mehr Stunden.

Wenn Du nun 40% Deines Sachleistungsbetrages nutzt und den in Entlastungsleistung umwandelst, hast Du folgendes Budget zur Verfügung:


Pflegegrad12345
Entlastungsbetrag Inkl.
40% umgewandelter Pflegesachleistung
125 € pro  Monat*400,60 €
pro
Monat
644,20 €
pro
Monat
769,80 €
pro
Monat
923,-€
pro
Monat
Anteiliges Pflegegeld (60%)0 €189,60 €327 €436,80 €540,60 €
* im Pflegegrad 1 gibt es weder Pflegegeld noch Pflegesachleistungen aber 125€ Entlastungsbetrag pro Monat.

Ihr bekommt also nach diesem Beispiel 40% umgewandelte Sachleistung, die über Pflegedienst, FED, Nachbarschaftshelfer oder ähnliche „nach Landesrecht anerkannte“ Anbieter abgerufen werden können PLUS die 125,-€ Entlastungsbetrag als DIENSTLEISTUNG in Form von Betreuungs- oder Entlastungsstunden. DAZU bekommt ihr noch 60% anteiliges Pflegegeld.

In unserem Beispiel könnte Eure liebe Nachbarin bei 10,-€ pro Stunde und Pflegegrad 3 sogar 64 Stunden pro Monat betreuen und ihr würdet weiterhin 327,-€ bekommen. Ganz schön viel Betreuungszeit, oder? Wenn ihr natürlich einen Pflegedienst oder den Familienentlastenden Dienst beauftragt, berechnen die wohl eher so 30,- € pro Stunde. Im Pflegegrad 3 bekämt ihr also knapp 21,5 Stunden pro Monat – aber trotzdem die 327,-€ anteiliges Pflegegeld.

Das ist die Rechnung bei maximaler Umwandlung. Es ist aber auch möglich weniger als 40% Pflegesachleistung umzurechnen. Ihr könnt also auch 30% umwandeln und bekommt dann 70% Pflegegeld.

Aber was ist mit meiner Rente??!

Jep – Wichtiger Punkt! Als Pflegeperson bekommen wir nicht nur Pflegegeld, sondern auch Einzahlungen in die Rentenversicherung, sofern wir nicht mehr als 30 Stunden pro Woche erwerbstätig sind. Wie viel genau hängt wieder vom Pflegegrad – aber auch von der Pflegeart ab.
Das aufzudröseln ist ebenfalls komplex, und mein lieber Kollege Hendrik Dohmeyer vom Pflege-Dschungel hat dazu einen sehr verständlichen Artikel geschrieben und noch dazu eine sehr verständliche Info-Graphik gebaut. Wenn ihr es ganz genau wissen möchtet, schaut also gern hier.

Macht das denn nun für unsere Familie Sinn??

Zunächst zu den Rentenpunkten:
1. Der Verlust von Rentenpunkten im Vergleich Pflegegeldbezug versus Kombileistung ist überschaubar.
2. Pflege von Kindern ist ein Marathon – kein Sprint! Wenn mehr Betreuungsleistung Dir dazu verhilft gesund zu bleiben und Deine Rente überhaupt lange zu genießen, dann rechnet es sich. Lieber lange gesund eine kleinere Rente genießen als am Ende unserer Lebens-Pflege-Zeit krank zu sein und früh zu sterben …
3. Wenn Du sowieso mehr als 30 Stunden erwerbstätig bist ist die Rentenpunktfrage eh egal.
4. Wenn Du durch den Wechsel auf die Kombileistung Deine Arbeitszeit erhöhst, aber unter 30 Wochenstunden bleibst, verzichtest du zwar auf einige – aber nicht alle – Rentenpunkte, erhöhst aber dein Erwerbseinkommen, vielleicht Deine persönliche Lebensqualität und verbesserst langfristig berufliche Perspektiven.
5. Wenn Du auf Eingliederungshilfe im Freizeitbereich verzichten musst, weil ihr als Eltern zu viel verdient und die Zuzahlung deswegen unglaublich hoch wäre, dann ist die Umwandlung von Pflegesachleistung in zusätzlichen Entlastungsbetrag die beste Option um Beruf-Familie-Pflege-Gesundheit-MeTime in Balance zu halten. Bessere Gesundheit, persönliche Zufriedenheit, berufliche Perspektiven rechtfertigen hier den Verzicht auf Pflegegeld und Rentenpunkte. Vor allem: Diese Lösung braucht ihr nur, bis Euer Kind 18 ist. DANN ist auch für besser verdienende Eltern die Eingliederungshilfe Eures volljährigen Kindes Elterneinkommens-UNabhängig.

Wir haben hier also eine Lösung, die für viele -vor allem gut verdienende- Familien sehr attraktiv ist.

Für Familien mit niedrigen bis durchschnittlichen Einkommen dagegen ist es vielleicht sinnvoller das volle Pflegegeld in Anspruch zu nehmen und die Betreuung über die Eingliederungshilfe im Bereich der Freizeitgestaltung zu regeln. Denn wenn ihr keine Zuzahlung leisten müsst, ist diese zusätzliche Freizeitassistenz, die gar nichts mit dem Pflegegrad zu tun hat, natürlich die bessere Möglichkeit.

Der Nachteil bei der Eingliederungshilfe wiederum ist, dass ihr hier Anträge stellen, eine Bedarfsermittlung durchführen lassen – kurz: Euch mit Ämtern rumschlagen müsst.

Die Umwandlung von Pflegesachleistung in zusätzliche Betreuungsleistung über den Weg der Kombinationsleistung dagegen ist gesetzlich eigentlich recht klar geregelt und kann daher relativ einfach umgesetzt werden. Die größte Schwierigkeit besteht eher darin Betreuungskräfte zu finden.
Dazu mehr in diesem Artikel.

Hinweis: Für schwer betroffene Kinder gibt es darüber hinaus noch die „Behandlungspflege“. Das würde allerdings hier zu weit führen und verdient einen eigenen Artikel. Wenn Du diesen nicht verpassen möchtest, stelle sicher dass Du in meinen Newsletter eingetragen bist.

Ich hoffe dieser Artikel hat Euch weitergeholfen. Falls ja – teilt ihn gern mit anderen auf Social-Media oder in Euren Gruppen!

Zum Schluss ein rechtlicher Hinweis:
Ihr wisst, dass ich KEINE JURISTIN bin und nur den Stand meiner Recherche widergeben kann. Meine Aufgabe als Special Needs Coach ist es, Euch Eure Ressourcen und Möglichkeiten aufzuzeigen. Bitte holt Euch bei Bedarf anwaltlichen Rat ein und erkundigt euch bei Eurer Krankenkasse (schriftlich!) wie die Rechenbeispiele in Eurem konkreten Fall aussehen würden.  Falls Euch Fehler, Ungenauigkeiten oder veraltete Daten auffallen würden, freue ich mich über einen Hinweis auf meinem Kontakt-Formular!

Und nun wünsche ich Euch viel Erfolg bei Euren Überlegungen und eine gute Entscheidung welche Ressourcen ihr wie nutzen möchtet.

Eure
Marion Mahnke
Pädagogin, systemischer Coach und Expertin für Special-Needs-Parenting

Quelle: https://pflege-dschungel.de/project/pflegebudget-2022/
Quelle: https://pflege-dschungel.de/rentenansprueche-fuer-pflegende-angehoerige/

Ein Gedanke zu „Kombinationsleistung clever nutzen für mehr Betreuung und Entlastung

  • Bettina Lühning

    Hallo Marion,

    wo muss ich die Umwandlung beantragen? Muss ich mich festlegen oder geht das auch monatsweise?
    Oder kann ich die abrechnende Stelle bitten die Umwandlung in der Rechnung auszuführen und meine Pflegekasse rechnet es nach einreichen der Rechnung richtig ab für den jeweiligen Monat?

    Danke für deine Ausführungen 🙂
    Liebe Grüße

    Antwort

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