SpecialNeeds

Wieviel Förderung braucht mein Kind?

Wenn ein Kind eine Diagnose bekommt, die es als „nicht normal“ oder „entwicklungsverzögert“ ausweist, geht für viele Eltern der „Fördermarathon“ los. Aber wie viel Förderung braucht das Kind? Wann ist es genug? Und wie stelle ich sicher, dass die Förderung eine gute Qualität hat?

Diese Fragen stellen sich viele meiner Kundinnen. Und eine Antwort ist schwierig, denn es sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen: Zunächst einmal geht es um die Art der Behinderung, die durch Therapie und/oder Förderung ausgeglichen werden soll. Dann müssen wir das Potential und die Ressourcen des Kindes in Blick nehmen. Denn nicht alle Kinder haben dieselbe Menge an Energie und denselben Bedarf. Und was häufig vergessen wird ist der Faktor Familie: Wie viel Kraft, Energie und Zeit haben die Eltern überhaupt? Können und wollen sie sich die Belastung teilen? Gibt es weitere Unterstützer, die einen Teil der Förderung übernehmen könnten?

Zwischen Normalität und Therapie

Vor allem aber: Welche Bedeutung haben die unterschiedlichen Werte „Normalität“, „Familienleben“ und „Optimale Förderung“ für die Familien? Dabei ist zu berücksichtigen, dass hier Vater, Mutter und eventuell andere betreuende Verwandte völlig unterschiedliche Vorstellungen und Werte haben können. Und das führt dann oft zu Konflikten.

In vielen Fällen sind es die Mütter, die sich von den Vätern zu wenig unterstützt fühlen.  Weil diese oft den Wert „Normales Leben“ ins Zentrum stellen, scheinen sie weniger an Therapeutischen Maßnahmen und Intensivtherapien interessiert zu sein und bringen sich weniger ein. Die Frauen haben das Gefühl „ihm sei alles egal“ oder „er schätze die Situation völlig falsch ein“.

Dass diese Väter auf ihre Weise das Kind fördern, indem sie es mit den ganz normalen Herausforderungen eines aktiven Familienlebens konfrontieren, wird von den Müttern selten wahrgenommen. Das ihr Beitrag zur Entwicklung des Kindes nicht wertgeschätzt wird, trifft viele Väter bewusst oder unbewusst. 

Auf der anderen Seite haben viele Väter das Gefühl, ihre Frauen übertreiben es mit der „Förderei“. Sie spüren, dass offene Kritik nicht angemessen ist – aber sie zweifeln, ob „das bisschen Turnen“ oder die logopädischen Übungen denn nun „wirklich was bringen“ – und halten sich raus. Weswegen die Mütter sich wieder allein gelassen fühlen.  (Anmerkung: Hier schreibe ich bewusst genderspezifisch, weil ich in Hunderten von Beratungen die Erfahrung gemacht habe, dass diese unterschiedlichen Tendenzen typisch weiblich bzw. männlich zu sein scheinen.)

Bewältigungsstrategien auf dem Prüfstand

Dahinter stecken häufig einfach unterschiedliche Bewältigungs-Strategien. Wollen wir mal ehrlich sein: Die wenigsten von uns lässt es kalt, wenn die Diagnose „Ihr Kind ist behindert.“ Lautet oder der Arzt eine „Entwicklungsverzögerung“ bescheinigt. Wir wollen das Beste für unsere Kinder. Wir wollen ein sorgloses, normales, tatkräftiges Leben für sie. Mütter, Väter, Großeltern …

Aber wir gehen sehr unterschiedlich damit um: Manche von uns recherchieren die Ursachen, die Auswirkungen und die optimalen Therapien und Förderungen um das Defizit so klein wie möglich zu halten. Andere wollen das Kind „ so annehmen wie es ist“ und das Leben so weit wie möglich normal gestalten. Das Eine kann bis ins Extrem der Dauer-Förderung gehen. Das andere Extrem liegt beim Ignorieren der offensichtlichen Defizite. Dazwischen gibt es viele gesunde und weniger gesunde Schattierungen. 

Unterschiedliche Wahrnehmungen

Wenn ein Elternteil beruflich zurücksteckt, um die Pflege und Erziehung des Kindes zu gewährleisten,  kommt häufig noch ein Wahrnehmungsproblem dazu: Das Elternteil, das einen Großteil des Tages zu Hause ist, sieht die Defizite des Kindes deutlicher. Schwieriges Verhalten wird klarer wahrgenommen, wenn man ein Kind rund um die Uhr betreut, während gelegentliche problematische Episoden nach Feierabend von den arbeitenden Elternteilen gern als „Das Kind ist halt müde und quengelig!“ verdrängt werden. In einigen Fällen mobilisiert das Kind tatsächlich Abends, wenn das Elternteil von der Arbeit nach Hause kommt neue Kräfte – und wirkt so natürlich ganz anders als auf das Elternteil, das ganztags zu Hause ist.

Das Daheimgebliebene Elternteil übernimmt zudem oft die Recherche und die Beschäftigung mit Ursachen – und Förderung ! – bei der jeweiligen Behinderung. Es ist ja auch ihre Aufgabe, die Entwicklung des Kindes langfristig zu betrachten und Risiken für die Entwicklung frühzeitig wahrzunehmen und gegenzusteuern. Da diese Aufgabe aber meist unausgesprochen ist, werden Sorgen und das Bemühen um optimale Förderung vom arbeitenden Elternteil oft als übertrieben abgetan.

Probleme entstehen, wenn die Eltern sehr unterschiedliche Wahrnehmungen vom Kind, einen sehr unterschiedlichen Wissensstand zur Behinderung oder Krankheit des Kindes oder eine sehr unterschiedliche Bewältigungsstrategie haben. (Nebenbei: Genau diese Punkte trüben oft auch das Verhältnis von Eltern zu Großeltern – denn auch hier sind Wahrnehmung, Wissensstand und Bewältigungsstrategie oft die Faktoren, die zu unterschiedlichen Einschätzungen über das Kind und die daraus folgenden Erziehungs- und Entwicklungsstrategien führen.)

Um mit sich selbst und unserem Partner im Reinen zu sein, ist es wichtig, sich darüber klar zu werden, welche Werte jetzt gerade und im Moment für uns am Wichtigsten sind, welche Erkenntnisse wir über den möglichen Verlauf der Behinderung/Erkrankung und die möglichen Förder- und Therapiemaßnahmen haben und unsere Beobachtungen über den Alltag zu analysieren.

Und dann: Mit allen Familienmitgliedern darüber sprechen.

Bei jüngeren, bzw. nonverbalen Kindern können wir durch Einfühlung, Analyse des Verhaltens und Intuition auch die Stimme des Kindes berücksichtigen. Denn auch wenn unser Kind (noch) nicht sprechen kann, ist doch die Frage: „Wie viel Therapie ist für mein Kind heute tragbar?“ ebenso wichtig wie die Frage „Wie viel Therapie möchte ich für mein Kind, damit es ihm in der Zukunft gut geht?“.

Halten wir fest: Es tut gut mit sich selbst, dem Kind und dem Partner darüber ins Gespräch zu kommen, was gerade wichtiger ist: Alltag und Normalität oder Förderung und Therapie.

Gegen die Kooperation des Kindes ist sowieso keine Therapie möglich. Und wenn wir gut miteinander leben möchten, sollten beide Elternteile Verständnis dafür entwickeln, wo der andere (gerade) steht und was wir uns voneinander wünschen. Denn letztendlich sind ja beide Ansätze berechtigt.

Förderung oder Therapie? Eine Begriffsbestimmung

„Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht!“. Dieser häufig zitierte Satz ist wahr. Und dennoch gilt auch: „Aber es wächst besser, wenn man es düngt.“. Gerade, wenn der Boden eben nicht optimal ist.

Und doch unterschätzen viele Elternteile, wie viel Förderung allein im Alltag stattfindet.

Um das genauer zu verstehen, müssen wir zunächst die Begriffe „Förderung“ und „Therapie“ voneinander abgrenzen. „Therapie“ ist die gezielte Intervention. Wir „üben“ oder „trainieren“ einen Muskel, eine Verhaltensweise, eine Fähigkeit. „Therapie“ ist deswegen oft anstrengend. Wir lernen gezielt etwas und setzen dafür ein hohes Maß an Energie ein.

„Förderung“ dagegen bedeutet, dass wir ein günstiges, positives Umfeld schaffen, das ein gewünschtes Verhalten, eine mögliche Entwicklung begünstigt oder im Alltag ein Verhalten, einen Muskel, eine Fähigkeit „nebenbei“ trainieren. Quasi als „Begleiterscheinung des Alltags“.

Wenn man so will ist „Therapie“ wie ein Besuch im Fitness-Studio und „Förderung“ die Installation von „Pokemon“ auf dem Handy. Beides sorgt dafür, dass wir uns mehr bewegen – aber das eine ist eine gezielte Intervention, die einen ganz bestimmten Muskel trainiert – das andere ist eine gesundheitsförderliche Freizeitgestaltung.

Und so kann eben auch das normale Familienleben -bewusst oder unbewusst- eine optimale Förderung sein. Denn viele alltägliche Tätigkeiten können zur Förderung beitragen. Wenn wir nun genauer analysieren, welche motorischen, kognitiven, emotionalen oder sprachlichen Defizite vorliegen, dann können wir durch bewusstere Auswahl normaler Familienaktivitäten schon eine sehr gute Förderung erreichen. Dafür kann es sinnvoll sein, dem Kind bewusst mehr Zeit zu geben oder das Kind anzuleiten es selbst zu tun indem wir gezielte Hilfestellungen geben – aber nichts übernehmen, was das Kind mit etwas Mühe bereits selbst kann.

Damit das gelingt, ist oft aber eine solide Therapie hilfreich. Hier können Fachpersonen die Analyse begleiten und uns wichtige Hinweise und Impulse für das Familienleben geben.

Das muss aber keine jahrzehntelange Dauer-Therapie sein. Es geht darum, genau die Therapie zu finden, die uns jetzt gerade hilft den nächsten Schritt in Angriff zu nehmen und die richtige Dosis zu finden.

Und dabei die Bedürfnisse und Werte aller Familienmitglieder zu berücksichtigen. Dann fördern wir genug. Im richtigen Maß und auf die richtige Art. Letztlich ist ein förderliches Umfeld und bewusste Unterstützung der Potentiale unserer Kinder die beste Entwicklungs-Chance auf der alles aufbaut. Je besser der Boden, desto weniger „Dünger“ ist nötig. Und somit ist ein zugewandtes, interessiertes und lebendiges Elternhaus als elementare Grundlage die allerwichtigste Ressource unserer Kinder. Wenn diese Grundlage geschaffen ist, dann kann der „Dünger“ in Form von gezielten Therapien sinnvoll und möglichst sparsam eingesetzt werden.

Häusliche Förderung und gezielte therapeutische Intervention ergänzen einander also optimal, wenn wir wissen, wie der Alltag mit wenig Mühe förderlich gestaltet werden kann und welche Therapien die Entwicklungschancen unseres Kindes optimal verbessern.

Wie finde ich raus, was mein Kind braucht?

Beobachtung, Analyse und Austausch sind die wichtigsten Aspekte. Dazu natürlich Fachwissen zur Behinderung oder Erkrankung Deines Kindes. Tauscht Euch im Familienkreis über Eure Wahrnehmung zum Kind aus. Sprich mit Deinen Ärzten. Beschäftige Dich mit der Erkrankung / Behinderung Deines Kindes. Erkundige Dich im SPZ was dort empfohlen wird. Probiere Therapien erstmal aus. Und triff dann mit Deinem Partner eine gute Entscheidung.

Mehr Rat und Hilfe im Seminar

Du wünschst Dir mehr Unterstützung und möchtest den Therapie-Bedarf und die Entwicklungs-Chancen Deines Kindes mal in Ruhe analysieren und Eure Ressourcen reflektieren? Im Seminar „Fördere ich genug?“ beschäftigen wir uns mit den verschiedenen Förder-Möglichkeiten und ihr erfahrt, wie ihr im Alltag spielerisch fördert, ohne zu Co-Therapeuten zu mutieren.

1:1-Coaching

Du möchtest Dich mal mit jemandem austauschen und die Situationen Deines Kindes in Ruhe mit einer Fachkraft analysieren? Dann buche gern ein 1:1-Coaching in dem wir Eure individuelle Situation analysieren und genau hinschauen wie viel Förderung und Therapie Dein Kind gerade braucht.

Eure

Marion Mahnke

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert