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Können Babys einen Pflegegrad bekommen?

Können Babys einen Pflegegrad bekommen?

„𝗪𝗶𝗿 𝗵𝗮𝗯𝗲𝗻 𝗻𝘂𝗻 𝗱𝗼𝗰𝗵 𝗣𝗳𝗹𝗲𝗴𝗲𝗴𝗿𝗮𝗱 𝟯 𝗳𝘂̈𝗿 𝘂𝗻𝘀𝗲𝗿 𝗕𝗮𝗯𝘆 𝗯𝗲𝗸𝗼𝗺𝗺𝗲𝗻!“ berichten mir meine Klienten strahlend. „𝗗𝗮𝘀 𝗵𝗮𝘁 𝘀𝗶𝗰𝗵 𝗺𝗮𝗹 𝗿𝗶𝗰𝗵𝘁𝗶𝗴 𝗴𝗲𝗹𝗼𝗵𝗻𝘁!“

Was dieser Familie passiert ist, macht mich immer noch fassungslos! Das Baby sei nicht unternernährt, befand die Gutachterin beim Termin. Daher sei auch kein außergewöhnlich intensiver Pflegebedarf bei der Ernährung festzustellen.

Natürlich war das Baby nicht unterernährt. Eben WEIL die Mutter mit großer Hingabe und viel Zeitaufwand stillte. Hebamme und Ärzte hatten die Trinkschwäche bescheinigt. Die Mutter hatte erwähnt, dass sie häufig stillen muss, weil das Baby nur geringe Mengen pro Still-Einheit trinkt. Aber das Kind sah gut aus, machte einen aktiven Eindruck – wirkte eben wie ein zufriedenes Baby.

Weil die Eltern also hohen Aufwand betrieben, damit das Kind angemessen ernährt wird und nicht unter Mangelernährung leidet, wollte die Gutachterin ihnen NICHT bescheinigen, dass das Kind einen „außergewöhnlichen intensiven Pflegebedarf bei der Ernährung“ hat. Eben dieser Punkt ist aber bei Babys unter 18 Monaten ausschlaggebend und macht häufig den entscheidenden Unterschied aus, welcher Pflegegrad festgestellt wird.

Ein ähnliches Problem erlebe ich auch häufig bei Familien mit Kindern im Autismus-Spektrum: GutachterInnen, die nicht mit ASS vertraut sind, verstehen oft nicht welchen Aufwand die Familien betreiben (müssen), damit es eben NICHT zu Überforderung und Meltdowns kommt.

Und im Fall von geistig behinderten oder mehrfachbehinderten Kindern: Oft wird NICHT gesehen, dass die Kinder relativ gut entwickelt sind, weil ein hoher Zeitaufwand in tägliche Übungen, Fahrten zu Therapien und der Bewältigung (oder Vermeidung) von herausforderndem Verhalten gesteckt wird.

Kurz: Gut entwickelte Kinder werden häufig falsch beurteilt, weil der Pflegeaufwand, der zu dieser guten Entwicklung führt, nicht offensichtlich ist. Weil DAS ERGEBNIS der Pflege beurteilt wird und nicht der Aufwand.

Das sollte eigentlich nicht so sein! Denn aus den Regelungen geht klar hervor, dass eben nicht der Zustand des Pflegebedürftigen Gegenstand der Begutachtung ist, sondern der Aufwand, der nötig ist (oder wäre) um den optimalen Zustand zu erreichen oder zu halten! Solche Fehler bei der Begutachtung sind leider nicht selten!

Allerdings muss ich ein Wort zur Verteidigung der GutachterInnen sagen: Denn es ist quasi unmöglich mit allen Syndromen und Erkrankungen und Behinderungsbildern wirklich gut vertraut zu sein und die zur Verfügung stehende Zeit ist ja auch nicht gerade reichlich bemessen. Trotz aller Sorgfalt KANN so eine Fehleinschätzung MAL passieren. Leider ist das jedoch nicht die Ausnahme, sondern eher die Norm.

Das Problem dahinter: Nur 2% aller Schwerbehinderten in Deutschland sind überhaupt jünger als 18 Jahre. Nur 3% aller Behinderungen sind bereits in der Babyzeit erkennbar. Und nur 13% aller Behinderten sind geistig/seelisch beeinträchtigt. Das bedeutet: Gutachterinnen sind im Allgemeinen mit unseren besonderen Kindern und ihren Problemlagen schlicht nicht vertraut.

Es bleibt also leider uns als Eltern überlassen, die Herausforderungen aufzuzeigen, Probleme eindrücklich zu schildern und den Pflegeaufwand plausibel zu belegen.

Nach unserem Coaching beantragte die Familie eine erneute Begutachtung und brachte Belege durch die begleitenden Ärzte für die Trinkschwäche bei. Der Erfolg: Der Pflegegrad 3 wurde erteilt, die Trinkschwäche berücksichtigt.

Meine 5 besten Tipps für die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst/Medicproof

  1. Geht die Punkte, die für Euch wichtig sind im Pflegegradrechner durch.
  2. Beratet Euch mit einer Fachperson, die Euch und das Kind kennt und den Aufwand verstehen und verbalisieren kann. Eure Therapeutin, eine Kinder, eure Hebamme/Stillberaterin oder eine Erzieherin zum Beispiel
  3. Weist die GutachterInnen ausdrücklich darauf hin, warum so viel Zeit und Mühe aufgewendet werden muss, DAMIT es Euren Kindern gut geht!
  4. Wenn möglich: Bittet eine Fachperson bei der Begutachtung dabei zu sein.
  5. Scheut euch nicht bei Bedarf Widerspruch einzulegen!

Viel Erfolg!

Eure Marion Mahnke

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