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Ich fühle mich gesund

Ein merkwürdiges Gefühl war es, als ich eines Morgens wach wurde und grübelte, was anders war. Ganz langsam kroch die Erkenntnis hoch: Ich fühlte mich heil, ganz und irgendwie fit. Sogar tatkräftig . Dieses Gefühl – das hatte ich seit Jahren nicht mehr gehabt. Es war so weit weg, dass ich geraume Zeit brauchte um es zu identifizieren: „Ich fühle mich gesund!“.

Ich will weder klagen noch jammern – aber wenn wir mal ehrlich sind: Damit zurechtzukommen, dass man ein Kind mit einer Diagnose hat – das kostet Zeit und Kraft. Hat man es halbwegs verarbeitet, beschäftigen uns Therapien und ärztlicher Versorgung, die tägliche Sorge für das Kind und die behinderungsbedingten Herausforderungen: Wir suchen passende Hilfsmittel, fördern, recherchieren, stellen Anträge, diskutieren mit ErzieherInnen und Schule, kämpfen um Anerkennung und Inklusion für unser Kind in Familie, Freundeskreis und Gesellschaft, streiten mit Behörden und Kassen um das, was unseren Kindern von Gesetzeswegen zusteht.

Hinzu kommen Geschwisterkinder, PartnerInnen, älterwerdende (Schwieger-)Eltern, Hund, Garten, Haushalt, Freundschaften, gesellschaftliche Pflichten, Ehrenämter – STOPP !!!

Wir funktionieren. Weil wir müssen. Weil es niemand anders tut. Wir werden besser darin, unsere mentalen Muskeln, unsere Ausdauer, unsere Kompetenzen wachsen.

Aber es ist ein Marathon – kein Sprint. Und wenn Du Deine Kräfte nicht verdammt gut einteilst, Dich auf das Wesentliche konzentrierst und gut auf Dich selbst achtest – dann passiert Dir das, was mir passiert ist:

Irgendwann waren die Akkus alle. Depressive Verstimmungen, Lustlosigkeit, ein „Was-soll-das-alles?“-Gefühl kamen hoch. Sport, Bewegung, regelmäßige Ich-Zeit? Fehlanzeige! Ich funktionierte auf Zuruf. Die Kinder kommen nach Hause – also muss ich essen kochen. Und Zuhören. Und aufmerksam sein.

Irgendwann merkte ich, dass ich all das vortäuschte, innerlich gar nicht mehr so richtig dabei war. Ich erledigte Dinge, funktionierte, aber irgendwie war ich gar nicht mehr so recht da, hatte ständig Infekte. Mein Mann und meine damals 8-jährigen Tochter stellten fest, dass „Mama immer krank war, keine Lust hatte, meist auf dem Sofa lag“. 4-6 Monate ging das so. Und nur mit Hilfe meiner wirklich großartigen Familie, fachkompetenter Beratung und verdammt viel Willenskraft habe ich mich mühsam aus diesem Tiefpunkt herausgearbeitet. Wurde zwar nicht wirklich gesund, war aber eben nicht mehr krank.

Jahre gingen ins Land. Jahre in denen ich wie eine Löwin gekämpft habe. Um meine Tochter mit Behinderung und für ihre Belange. Dafür, dass mein Sohn und meine Tochter ohne Behinderungen nicht zu kurz kommen. Darum, dass unsere Ehe mehr ist, als eine Kampfgemeinschaft. Darum eine liebevolle, fröhliche und glückliche Familie zu gestalten.

Und ich war erfolgreich. Ich galt als Powerfrau. Als Problemlöserin. Als die Person die man fragt, wenn man eine Aufgabe erledigt haben möchte.

In dieser Zeit habe ich zugenommen. Massiv. Ich war nie eine Gazelle, aber in diesen Jahren war es mir nicht möglich 1,5 km ohne zu Schnaufen zu gehen, ein Stockwerk ohne Keuchen hochzusteigen, aus dem Knien ohne Ächzen in den Stand zu kommen. Meine Kondition, Ausdauer, Kraft waren auf dem Tiefpunkt. Körperlich zumindest. Denn meine Leistungsfähigkeit in Hinblick auf Problemlösung (für andere), Kampfkraft (für mein Kind) und Hingabe (an meine Familie und den Freundeskreis) waren auf einem Hochpunkt.

Gesund war das nicht. Ich machte es allen Recht – aber kam selbst zu kurz: Ich war wieder in eine Negativ-Spirale geraten. Inzwischen hatte ich zwar Techniken entwickelt, besser für mich zu sorgen. Meine Akkus waren immer so auf 3-5 Prozent. Aber mit Spaziergängen, Hobbys und Ich-Zeit lud ich sie gerade soweit auf, dass ich funktionierte. Und so drehte sich die Spirale langsam – aber stetig.

Denn: Wenn der Akku so niedrig ist, kann der Körper seine wundersamste Kraft nicht einsetzen: Die Fähigkeit zur Selbstheilung. Ich war schlapp und fand keine Kraft für Dinge, die mir gut getan hätten. Mein Energie-Level ließ mich Tag für Tag überleben – aber ein LEBEN war das nicht.

Irgendwann merkte ich: So geht es nicht weiter! Ich bin nicht Ich-Selbst. Ich habe keine Freude an meinen Kindern. Ich verpasse das, was das Leben ausmacht: Liebe, Spaß, Genuss!

Gern würde ich jetzt sagen: „Und dann nahm ich Nahrungsergänzung X oder begann mit dem 12-Tage-Programm von Coach Sowieso und alles wurde gut!“. Aber so war es nicht. Da war kein spektakulärer Gamechanger.

Nur die Entscheidung: Ich will nicht mehr überleben – ich will leben! Und ich nehme das jetzt in die Hand. Und es ging langsam. Schritt für Schritt. Am Anfang in ganz, ganz kleinen Mini-Mäuseschritten.

Ich begann konsequenter für mich selbst zu sorgen: Eine Stunde in der Badewanne. Eine Tasse Tee nachdem die Kinder auf dem Schulweg waren. Einen Gang um den Block.

Ich fing an „Nein“ zu sagen. Zu Ehrenämtern, zu „Du-kannst-das-doch-so-gut!“-Aufgaben, zur absoluten Verfügbarkeit für Kinder, Familie, Freunde.

Ich fing an „Ja“ zu sagen: Zu mir, zu Bewegung, zu Achtsamkeit und zu alten und neuen Hobbys.

Und eines Tages kam die Negativ-Spirale zum Stillstand. Ich wurde nicht mehr immer müder, ausgelaugter und körperlich und psychisch angegriffener. Langsam- aber stetig- stieg mein Akku wieder in einen gesunden Bereich. Ich war wieder arbeitsfähig und präsent in meinem Familienleben. Und irgendwie fühlte sich alles wieder etwas lebendiger, bunter und lebenswerter an.

Und dann passierte etwas Wunderbares: Nein – ich habe keine Pille geschluckt mit der alles besser wurde oder die eine bahnbrechende Methode erfunden, die einen in kürzester Zeit auf die Erfolgsspur bringt. Aber nachdem die Negativ-Spirale erstmal zum Stillstand gekommen war, wirkten die Veränderungen, die ich gemacht hatte weiter: Eine Positiv-Spirale entstand. Die erste kleine Alltags-Verbesserung, schenkte mir ein kleines bisschen mehr Energie. Die ich in weitere Verbesserungen investieren konnte. Und dieser Zinses-Zins-Effekt der Selbstfürsorge ist einfach irre!

Ich habe bei mir und bei meinen Klientinnen erlebt, dass es nur eine Sache gibt, die unerlässlich ist: Den ersten Schritt machen. Der gibt Kraft für den zweiten. Und irgendwann haben wir uns aus dem Tal herausgearbeitet und sehen wieder die Sonne, finden zur Kraft zurück und zu einem Leben, dass gut, glücklich und erfüllt ist. Trotz aller Herausforderungen. Eines Tages erwacht man und spürt: Ich fühle mich heil und ganz und gesund.

Ich hatte das große Privileg eine wundervolle Familie und Fachwissen aus meinen zwei Studiengängen zu haben. Trotzdem bin ich viel zu tief in die Negativ-Spirale geraten. Weil ich glauben wollte, was mir Menschen, die mir Mut machen wollten, sagen: „Sie schaffen das!“, „Du bist so stark!“, „Du machst das super!“.

Weil ich verborgen habe, was mich das alles kostet. Weil ich zu stolz war, meine Ängste, Sorgen und Trauer auszudrücken, meine Erschöpfung und Ratlosigkeit zu zeigen. Vielleicht auch, weil ich Angst hatte, dass alles zusammenbricht, dass ICH endgültig zusammenbreche, wenn ich anderen – und vor allem mir selbst! – eingestehe, dass ich mich gar nicht (mehr) souverän, stark und kraftvoll erlebe. Weil man doch funktionieren muss. Weil ich das von mir erwarte – und glaube, dass auch andere es von mir erwarten. Weil kaum jemand sieht – und man selbst oft auch nicht wahrnimmt – was man tatsächlich alles leistet.

Deswegen ist es mir so wichtig, dieses Thema anzusprechen. Immer wieder anzusprechen. Frühzeitig anzusprechen. Pflege-Burn-Out und stressbedingte Erkrankungen sind nicht selten! Aber es wird selten drüber gesprochen.

Das merkte ich als ich anfing andere Eltern professionell zu beraten. Im 1:1-Gespräch erfuhr ich, dass viele Mütter nach den ersten Jahren müde werden. Zu viel Mental Load. Zu wenig ehrliche Unterstützung von Freunden und Gesellschaft. Zu wenig Gesehen-Werden. Zu wenig Wertschätzung, Zu viele Anforderungen, die alle wichtig und dringend und schwer zu delegieren sind.

Und ich begann zu predigen – und zu leben – was heute der Kern meiner Arbeit ist: „Wenn das Flugzeug Deines Lebens in Turbulenzen gerät, setze Dir zuerst die Sauerstoff-Maske auf! Nur so kannst Du Kindern und Mitreisenden helfen!“.

Mit den Jahren habe ich mich immer mehr dem Themenkreis Psychische Gesundheit, Stressbewältigung, Resilienz zugewandt. Weil es für mich selbst so wichtig und lebensverändernd war. Weil ich selbst erlebt hatte, wie effektiv diese Techniken sind. Ich wurde Beraterin für Stressmanagement, Psychische Gesundheit und Resilienz. Aber rasch wurde mir klar: Das was ich in meinen Fortbildungen lernte, passte irgendwie nicht in die Lebenswirklichkeit von Eltern, die Familie, Pflege und oft auch Erwerbsarbeit unter einen Hut bringen möchten. Menschen, die – aus gutem Grund! – alles für ihre Kinder geben – aber sich dabei allzu oft selbst vergessen. „Treiben sie Sport!“, „Machen sie Yoga!“, „Meditieren Sie!“ – wie soll man das im Pflege-und Familienalltag unterbringen?

In einer Lebenssituation, die ständig unglaublich viel Energie zieht, Zeit für sich zu finden, seine psychische Gesundheit im Blick zu behalten – das ist nicht leicht. Deswegen ist es mir wichtig die Techniken des Stress-Managements so weit runterzubrechen, dass sie wirklich für unseren Alltag taugen.

Ja – natürlich wollen wir alle schnelle Erfolge. Aber wichtiger ist mir, dass wir anfangen – und dranbleiben! Dass auch diejenigen, denen die Puste gerade ausgeht, Tipps und Übungen finden, die auch in dieser Situation umsetzbar sind, die Kraft schenken weitere Schritte zu gehen. Die Positiv-Spirale in Gang zu setzen. Um eines Morgens aufzuwachen und festzustellen: „Mir geht es gut!“.

Das ist meine Geschichte. Deswegen mache ich das alles. Weil Eltern behinderter Kinder Lebensqualität verdienen! Weil unser Leben außergewöhnlich ist – und dabei gut und erfüllt und kraftvoll sein sollte!

Dafür braucht es oft Selbstreflektion, Wissen, Ideen und Impulse. Und die möchte ich mit meinen Blogartikeln, meinem Newsletter und meinen Vorträgen und Intensivkursen rund um die Themen Selbstfürsorge, Achtsamkeit und Stress-Management geben. 

Danke dass Du Dir meine Geschichte angehört hast. Schreib mir gern in den Kommentaren, wie Du zu diesem Thema stehst.

Deine Marion Mahnke

Intensivkurs:  https://aussergewoehnlich-gut-leben.de/stress-lass-nach-intensivkurs-2023/

4 Gedanken zu „Ich fühle mich gesund

  • Maria

    Liebe Marion,

    Danke für diesen Artikel – ja, so gings und gehts phasenweise mir auch (noch).

    Ich durfte Kinesiologie kennenlernen, durch die Behinderung meines Kindes, und die Balancen helfen mir und auch anderen so viel. Aber: wenn zuviel zusammenkommt, wie derzeit, geh ich trotzdem in den roten Bereich. Ich lerne: heute hab ich einen Kontrolltermin für mein Kind, der sehr viel Aufwand ist, verschoben, weil es mir derzeit nicht gut geht! Mega Fortschritte für mich 🙂

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  • Danke für deine Geschichte, Marion! Ich kann nur erahnen, was es bedeutet, ein schwerbehindertes oder chronisch krankes Kind zu pflegen und sich durch den Bürokratiedschugel zu schlagen. Welche Belastung es sein muss. Wie gut, dass es dir gelungen ist, einen Weg zu finden, der nicht nur dir, sondern sogar noch vielen anderen weiterhilft. Das Bild mit der Negativspirale, die sich irgendwann in eine positive dreht, finde ich sehr hilfreich! Es passiert eben nicht mit dem ersten Wannenbad eine großartige Verbesserung im Leben. Das heißt nicht, dass es nicht wichtig wäre.
    Liebe Grüße
    Birgit

    Antwort
  • Corinna

    Liebe Marion,
    Danke für diesen wahnsinnig persönlichen Einblick über deinen Weg zu einem außergewöhnlich guten Leben! Ich freue mich sehr für dich, das klingt irgendwie total rund (also das Ergebnis, der Weg dahin war offensichtlich nicht ganz einfach) und es tut so gut, so eine „Erfolgsgeschichte“ zu lesen! Ich bin grad noch bei den Minischritten am Anfang, aber deine Geschichte spornt mich gerade sehr an, dran zu bleiben!
    Alles Gute weiterhin, ich wünsche dir sehr, dass die Spirale weiterhin aufwärts geht!

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  • Magdalene/xboystrahlemann

    ich kenne das sehr sehr gut. ich arbeite selber in einer psychiatrischen Tagesklinik, gebe Impulse, mache Übungen mit den Patienten, erkläre Zusammenhänge..ich dachte, hej kein Problem ich kann das alles, also wird es für mich ein Klacks sein mit mir selbst all das auszumachen. ich dachte, wenn ich noch mehr Wissen ansammeln würde und anderen Helfen würde, wird es mir auch helfen. Klägliche Versuche Mal da ein Beitrag zu schreiben, Mal da Ratschläge zu geben werden alles richten. Ein Fernstudium in Personalcoaching und Naturcoaching werden mich voranbringen. Stattdessen raubt es mir meine Kraft. Diese Erkenntnis und ein kürzer treten, so ähnlich wie Du, helfen mir jetzt langsam mich zu regenerieren..Es fehlt nur ein Austausch mit jemanden der versteht, dem ich nichts vormachen muss. Ich habe keine Lust mehr die starke zu markieren und so zu tun, als ob ich alles weiß und kann. Ich Trauer noch, ich weiß oft nicht weiter, ich ringe nach Luft. Meine Energie aufzubauen kostet manchmal ganz schön viel Kraft. Ein wichtiges Thema Marion! Schön, dass Du so ein Seminar anbietest. Und danke für diesen Beitrag.

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