SpecialNeeds

Filumi-Kinder-Osteopathie – Intensiv-Wochenende

Ein Erfahrungsbericht – Teil 1

„Schön, dass ihr da seid!“. Das steht auf der Mappe, die wir mitsamt einem Plüsch-Fuchs, der ein Halstuch mit Finjas Namen trägt, überreicht bekommen.

Heute startet Finja bei „Filumi“ eine 4-tägige Intensivtherapie mit kinderosteopathischem Schwerpunkt. Unsere Tochter ist 15 Jahre alt und lebt mit Down-Syndrom, Autismus und einer schweren geistigen Beeinträchtigung. Finja hat vielfältige gesundheitliche Baustellen und wir haben schon verschiedenste Therapien mit ihr gemacht. „4 Tage Osteopathie – kann das noch etwas bringen?“ frage ich mich und reise mit gemischten Gefühlen an.

Vorab: Dieser Bericht ist individuell. Wir wurden von Filumi eingeladen, die Therapie zu testen und ich berichte somit über UNSERE Erlebnisse und UNSERE Ergebnisse. Jede Familie wird andere Vorerfahrungen, andere Therapeuten und eine andere Ausgangslage haben.

Dieser Bericht ist MEINE Antwort, wenn ich gefragt werde, ob „Filumi“ eine Reise wert ist. Aber ich werde auch die TherapeutInnen zu Wort kommen lassen und habe einige Interviews mit verschiedenen MitarbeiterInnen, TherapeutInnen und Filumi-Unterstützern für Euch aufgenommen, die in den kommenden Wochen auf meiner Seite veröffentlicht werden.

Denn: Das Konzept ist neu und ganz anders als viele andere Ansätze. Vor allem: Es kostet die Familien nur 2 Urlaubstage und 2 Wochenend-Tage. Für berufstätige Eltern schonmal ein großer Unterschied zu anderen ein- oder mehrwöchigen Intensivtherapien. Doch nun zu unseren Erlebnissen:

Willkommen im Filumi

In Bad Alexandersbad angekommen, weisen freundliche Schilder mit Fuchs uns den Weg zum „Filumi“, das sich in der ehemaligen Gemeindeverwaltung des Ortes, direkt gegenüber vom „Bundesverband Osteopathie e.V.“ befindet.

In diesem großen hellen Haus mit freundlichen Räumen im Kurbereich des Ortes werden wir herzlich empfangen. Auf einer Stellwand wird jedes einzelne Kind namentlich begrüßt, ein kleiner Plüsch-Fuchs mit Namen des Kindes auf dem Halstuch heißt das Kind persönlich willkommen. Wir erhalten die Mappe mit Therapieplan und Informationen und werden in den Aufenthaltsraum geleitet, um auf die ärztliche Untersuchung und Anamnese zu warten.

Im großzügigen, liebevoll gestalteten Aufenthaltsraum lädt ein hölzernen Spielhaus die Kinder zum Spielen und ein Tisch mit Getränken und Snacks die Eltern zum Verweilen ein.

Ärztliche Untersuchung und Anamnese

Bald werden wir zur ärztlichen Untersuchung abgeholt. Finja ist heute sehr angespannt, knirscht viel mit den Zähnen und ist so widerspenstig wie selten. Schon auf dem kurzen Weg vom Hotel wollte sie lieber auf dem Gehweg sitzen bleiben, als mitkommen. Sie spürt vermutlich unsere Aufregung und reagiert natürlich darauf, dass heute alles neu und anders ist. Aber jetzt sind wir angekommen und atmen durch.

Die Anamnese beginnt mit dem behandelnden Osteopathen und der Ärztin. Nach wenigen Minuten haben wir routiniert unsere Anamnese-Infos abgespult. Man hat das ja in den letzten Jahren schon Dutzende von Malen gemacht…

Die Ärztin geht empathisch und professionell mit unserer nicht sprechenden, geistig stark eingeschränkten Tochter um, die heute einfach so garnicht will. Ihr autistisches Verhalten ist heute so ausgeprägt wie schon seit Jahren nicht mehr. Sie hockt auf dem Boden, ist in sich gekehrt, während ich erzähle, was uns derzeit Mühe macht und wo wir uns Fortschritte wünschen würden.

Erste Osteopathie-Einheit

Plötzlich steht Finja aus der Hocke am Boden auf und setzt sich zum Therapeuten der bislang still abwartend in der Ecke gesessen und beobachtet hat. Ärztin und Therapeut verständigen sich kurz die Gelegenheit zu nutzen und so verschwindet der Osteopath mit Finja an der Hand ins Therapiezimmer. Wir dürfen ins Elternparadies zurück und bekommen Kaffee.

Jedes Kind hat während des gesamten Aufenthalts denselben Therapeutin, bei uns ist es Christoph Bellmann aus Würzburg, der Finja behandelt. Die Therapeutenteams sind an jedem Wochenende unterschiedlich zusammengesetzt und arbeiten ansonsten in eigenen Praxen in ganz Deutschland, so dass es auch möglich ist zur Nachbehandlung eine Praxis in der eigenen Wohnumgebung zu finden. 

Schon nach kurzer Zeit tauchen Finja und ihr Therapeut im Aufenthaltsraum auf. Sie haben sich alles angesehen und Finja setzt sich nun zu mir. Die Therapiezeit ist noch nicht abgelaufen. Bellmann setzt sich entspannt zu uns und macht einfach mit fertig Therapie weiter. Im Aufenthaltsraum, während Finja neben mir sitzt.

Meine Tochter hat ganz offensichtlich Vertrauen gefasst. In kürzester Zeit. Sie lässt Berührungen im Gesicht zu, die das Gehirn aktivieren und ihren chronischen Schnupfen lösen sollen. Alles läuft sehr ruhig, unaufgeregt und souverän ab.

Zwischenfazit zu Haus, Therapeuten und Haltung

Wir fühlen uns sehr willkommen, gesehen, wertgeschätzt. Die umfangreiche Infomappe informiert uns über Ablauf und selbst das glutenfreie Mittagessen ist gar kein Problem hier.

Das Gefühl willkommen und versorgt zu sein ist himmlisch und etwas, das ich in anderen Therapien noch nie so erlebt habe. Die Kontaktaufnahme mit dem Kind ist sehr respektvoll und orientiert sich an den Kompetenzen des Kindes und berücksichtigt was es zulässt. Der Therapeut nimmt sich Zeit die Kooperation des Kindes zu erwirken.

So fühlen wir uns schon in den ersten 2 Stunden total wohl und entspannt.

Osteopathische Behandlung von Kindern

Am Nachmittag des ersten Tages gibt es eine weitere Therapieeinheit für Finja bei unserem Osteopathen. Finja genießt die Berührungen, macht sehr deutlich, dass sie mehr von bestimmten Griffen am Kopf möchte – Griffe, die Spannungen aus dem Kopfbereich abbauen, wie der Therapeut mir erklärt.

Von Außen sieht das alles unspektakulär aus. Wie „Handauflegen“ eben – nur mit komplizierteren Griffen. Aber es ist hocheffektiv und auch sehr intensiv, wie ich später selbst erleben werde. Denn: Auch die Begleitpersonen können eine osteopathische Behandlung bekommen.

Finja mag nicht auf die Liege. Und die Kooperation des Kindes geht hier vor Bequemlichkeit für den Therapeuten. „Wichtig ist, dass sie sich wohlfühlt, damit sie auch morgen noch gern kommt“ betont Christoph Bellmann, als ich schon motivieren will, dass Finja auf die Liege geht. Und so therapiert er gekonnt im Sitzen.

Erfolge schon am 1. Tag??

Die unmittelbaren Folgen machen mich sprachlos! In den 15 Jahren, die ich unsere Tochter begleite, habe ich mir abgewöhnt „Ziele“ mit in die Therapien zu nehmen. Ich berichte von unseren Baustellen, davon was das Leben schwer macht, und überlasse es TherapeutInnen und meiner Tochter zu schauen, was jetzt „dran“ und ein nächster guter Schritt ist. Und oft kommt etwas völlig anderes dabei raus, als ich selbst erwartet habe.

So auch diesmal.

Osteopathie gegen die „Laufnase“?!

In der Anamnese hatte ich geschildert, dass der Dauer-Schnupfen ein Problem ist. Alle 3 Minuten putzen wir Finjas Nase, die jetzt -ohne Übertreibung!- seit 9 Monaten läuft. Nach der Sitzung ist Ruhe. 30 Minuten kein Wischen der Nase. In den kommenden 3 Stunden vielleicht einmal stündlich! WOW.

Die laufende Nase ist gar kein „Dauer-Schnupfen“ erklärt mir der Therapeut. Offenbar hat die Nase 2 Ausgänge: Einen im Rachen und einen nach vorne raus. Und der hintere „Abfluss“ wird bei gesunden Menschen offenbar ständig genutzt. Da fließen Sekrete ab, ohne dass wir es merken. Aber viele Kinde mit Down-Syndrom haben ein kleines Mittelgesicht, enge Nasenkanäle und eben Spannungen, so dass der hintere „Abfluss“ nicht so gut funktioniert. (Ich hoffe mitlesende Fachleute vergeben mir, dass ich es so widergebe, wie ich es verstanden habe und mir die fachlich korrekten Worte fehlen).

Kurz und gut: Osteopathie kann diesen hinteren „Abfluss“ wieder besser gangbar machen. Und das spüren wir sofort. In dieser Nacht „schnauft“ meine Tochter nicht mehr wie eine kaputte Luftpumpe, sondern ruhig und gleichmäßig, wie eine gut funktionierende Luftpumpe. Keine Heilung, aber doch ein kleines Wunder. Sie schläft besser und tiefer. Wie lang das anhält? Wir wissen es nicht. Aber sie scheint sich deutlich wohler zu fühlen.

Osteopathie bei Autismus?!

Im Pausenraum passiert dann Wunder Nummer 2: Wie gern würde ich Euch das Video von Finja zeigen. Inmitten von 3 kleinen Kindern sitzt Finja im Schneidersitz auf einer Spielmatte und lässt sich die Annäherungsversuche der Kleinen gern gefallen. Meine Tochter mit „Autismus“ und Down-Syndrom sitzt normalerweise alleine in einer Ecke. Sie beschäftigt sich mit Bändern, Lüftungsschlitzen, betrachtet ein Buch oder erkundet andere Materialien.  Finja kann wenig mit anderen Kindern anfangen, findet sie oft unberechenbar und zieht sich eher zurück oder orientiert sich an Erwachsenen.

An diesem Nachmittag strahlt sie, als ein kleiner Junge ihr über den Schoß krabbelt, grinst ein kleines Mädchen an und akzeptiert ihr Kopfschütteln, als Finja nach ihrer Hand fassen möchte.

Ganz intensiv wendet sie sich dem kleinen Jungen zu, fasst seine Hand und dieser zieht Finja und das andere Mädchen in eine Umarmung, die Finja sich gern gefallen lässt. Als der Kleine nach ihren Haaren greift weicht sie grinsend aus, bleibt aber im Kontakt und nimmt seine Hand.

Wie gern würde ich Euch diese Szene zeigen, aber wie immer veröffentliche ich keine Bilder oder Filme auf denen fremde Kinder zu sehen sind, doch ich hoffe die Beschreibung kann ein bisschen von dem Flair einfangen. Diese Fähigkeit in die Interaktion zu gehen ist bei Finja selten und ihre Offenheit und das gezielte Spiel mit anderen habe ich so noch nie bei ihr im Kreis von Kindern gesehen.

Christoph Bellmann lacht als ich frage, ob er irgendeinen Punkt gegen Autismus gedrückt habe. „Nein!“ erklärt er. Aber er habe die Wahrnehmung des Eigen-Ich im Gehirn stimuliert. Und wer sich selbst gut spürt und wahrnimmt, der kann sich auch für das Gegenüber öffnen. Klingt plausibel – aber irgendwie fühlt sich das alles für mich nach „Osteo-Magie“ an.

Klangtherapie

Doch schon geht es weiter! Zum Abschluss des Tages haben wir Klangtherapie bei Klangtherapeutin Julia Rupprecht-Herr von Fichtelklang. (ju-herr@gmx.de)

Die gelernte Logopädin nimmt uns mit ihrem Koffer voll Klangschalen auf eine Klangreise mit. 4 Familien sitzen, liegen oder räkeln sich auf Gymnastik-Matten. Wir lauschen zunächst einem Klangkonzert der verschiedenen Schalen die Julia anschlägt.

Tiefe und hellere Töne verweben sich zu einem Klangteppich, der jeden im Raum auf eigene Weise berührt und bewegt. Dann dürfen die Kinder selbst ausprobieren. Wer mag bekommt eine Schale auf den Rücken gelegt um die Schwingungen zu spüren, die Julia der Schale entlockt.

Die Kinder experimentieren begeistert und auch wir Eltern lassen uns vom Zauber der Klangschalen gefangen nehmen. Finja ist wie immer sehr vorsichtig. Achtsam probiert Julia aus, was Finja – die ja ihre Wünsche und Bedürfnisse nicht verbal ausdrückt – mag.

Dann darf ich die Schale auf dem Rücken haben. Eine spannende Erfahrung. Die Vibrationen setzen sich im Körper fort und berühren irgendwas tief in mir.

Als wir uns verabschieden und die anderen Familien gehen, legt Finja sich plötzlich auf den Bauch. Es hat etwas gedauert, bis sie verstanden hat, was passiert – aber jetzt will sie auch!

Julia nimmt sich Zeit und gönnt Finja nochmal eine Extra-Runde „Klangschalen-Massage“. Beim Zusammenräumen erkundige ich mich – als Akademikerin- wie diese Schalen denn überhaupt wirken.

Ich will nicht nur spüren, dass es gut tut – ich will verstehen warum! „Der Mensch besteht zu großen Teilen aus Wasser“ erklärt mir Julia.  „Die Schwingungen der Schale können so dazu beitragen Spannungen zu lösen und den Körper harmonisieren.“

 Das leuchtet mir ein. Schließlich bin ich seit geraumer Zeit selbst Beraterin für Stressmanagement und Psychische Gesundheit und natürlich kenne ich Klangschalen – aber ich habe sie bislang nur als Meditations-Hilfe begriffen. Jetzt beginne ich zu begreifen, dass die Klangschalen mehr können als das und eine heilsame Wirkung entfalten, uns erden und neu ausrichten können. Die Schale wirkt somit nicht nur auf Geist und Psyche, weil es ein schöner Klang ist, sondern über die Vibration auch auf den physischen Körper.

Eine optimale Ergänzung zur Osteopathie, finde ich. Und etwas, das einfach gut tut und Spaß macht.

Auch bei Julia spüre ich wieder: Es geht um die Menschen. Die Kinder. Die Familien. Eine unglaubliche Wertschätzung und Zuwendung, die die gesamte Philosophie und alle Beteiligten am Gesamtwerkt #Filumi teilen.

Mehr darüber erfahrt ihr in den folgenden Berichten, wenn ich Euch einen Landrat mit einer Mission, eine Stifterin mit einer Vision, ein Back-Office mit Herz und weitere Menschen vorstelle, die bei Filumi beteiligt sind. Außerdem wird Euch Finja in einem kleinen Video durchs Haus führen und in einem Interview erläutert Osteopath Christoph Bellmann in seinen Worten wie Kinder-Osteopathie eigentlich wirkt, warum oft schon nach wenigen Behandlungen Erfolge zu sehen sind und wieso die Arbeit mit den Filumi-Kindern ihn so erfüllt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert