Friede unterm Tannenbaum?!
Friede unterm Tannenbaum?!
„Ich hoffe nur, dass ich die Schwiegereltern überlebe!“, „Weihnachten entspannt bleiben? Wir kriegen uns eh immer in die Haare!“, „Ich sehe rot, wenn ich nur an die Familienfeste denke!“
Solche Sätze höre ich in meiner Beratungspraxis immer wieder und ich hatte versprochen Euch ein paar Quick-Tipps zu geben, wie wir selbst für (mehr) Frieden und Gelassenheit (nicht nur) unter Weihnachtsbaum sorgen können.
Wünsche und Bedürfnisse
Wir haben Urlaub – oder zumindest Feiertage. Alle sind daheim und haben ein hartes Jahr und den „Weihnachts-Countdown“ hinter sich. Oft beruflich und persönlich nicht gerade eine stille und entspannte Zeit!
Die Auszeit, die vor uns liegt wollen wir nutzen für das, was im Alltag zu kurz kommt. Aber was ist das? Für Dich mag das Erholung und ein gutes Buch lesen sein. Für Deine(n) Partner(in) endlich mal in Ruhe mit Familien und Freunden plauschen, lange Wandertouren oder gar die Garage ausmisten!
Quicktipp 1: Finde heraus, was Deine wichtigsten Wünsche und Bedürfnisse für diese Tage sind. Und teile sie deinen Lieben mit! Vielleicht in Form eines Wunschzettels? Ein Beispiel findest Du hier.
Unterschiedliche Werte
Zu Hause – das sollte der Ort sein, an dem wir uns nicht anders verhalten müssen als wir sind. Und an den Feiertagen wollen wir eigentlich keine Kompromisse machen. Da regt es uns besonders auf, wenn die Schwiegerfamilie uns bei 3minütiger Verspätung mit der Frage begrüßt: „Na – musstet ihr mal wieder ausschlafen?“. Oder: Wenn die Großmama der Kinder es mit der Zeit mal wieder nicht so genau nimmt und unser aufwändiger Braten im Ofen vertrocknet …
Hier haben wir es mit unterschiedlichen Werten zu tun: Manchen Menschen sind Pünktlichkeit und Verlässlichkeit besonders wichtig. Sie betrachten es als Zeichen von Respekt und Wertschätzung mit der Zeit des anderen gut umzugehen oder haben das Bedürfnis nach Vorhersehbarkeit und Sicherheit. Das hinter dem Wert „Verlässlichkeit“ liegende Bedürfnis lautet möglicherweise „Respekt“.
Andere legen Wert auf Flexibilität und Spontaneität. Für sie ist es wichtig von Freunden und Familie „bedingungslos akzeptiert“ zu werden. Liebe drückt sich für sie darin aus, dass sie Kommen und Gehen können, wie es ihren aktuellen Bedürfnissen entspricht. Gerade an freien Ferientagen. Wenn sie 10 Minuten länger fürs Frühstück brauchen, erst den Lego-Turm mit den Kindern fertig bauen oder noch rasch tanken wollen, dann möchten sie diese Freiheit haben. So kommt es zu Konflikten.
Wichtig um das aufzulösen ist folgender Gedanke: Beide Werte sind für sich genommen wert-voll! Und sie drücken bestimmte Bedürfnisse und Lebenshaltungen aus. Keiner ist „richtiger“ oder weniger wichtig. Sie sind nur gegenläufig.
Quicktipp 2: Finde heraus welche Werte (oder Bedürfnisse) hinter typischen Konfliktsituationen in Deiner Familie stecken. Wenn Du DEINE Werte kommunizieren und die Werte der anderen verstehen und wertschätzen kannst, dann bietet sich ein ganz neuer Raum für Verständnis und Akzeptanz in unserem unterschiedlichen „So-Sein“.
Bewertung von Worten, Blicken, Sprüchen: Es liegt in Dir!
Hast Du schonmal vom „Psychochemischen Cocktail“ gehört? In meinem Seminar „Nie mehr sprachlos“ ist das ein ganz wichtiger Punkt. Wir können nämlich beobachten, dass dieselbe Szene, derselbe Satz oder derselbe Blick bei unterschiedlichen Menschen zu verschiedenen Reaktionen, Bewertungen und Gefühlen führt.
Was im ersten Moment merkwürdig erscheint, wird ganz logisch wenn wir einen Vergleich aus der Chemie heranziehen: Wenn wir eine beliebige Substanz in unterschiedliche Reagenzgläser mit verschiedenen anderen Flüssigkeiten schütten, dann erleben wir nämlich auch eine Vielfalt unterschiedlicher Reaktionen: Bei dem einen blitzt und pufft es, das zweite hat einen hübschen Farbumschlag, das dritte schäumt und zischt, das vierte verwandelt sich in eine eklige Pampe und im fünften passiert vielleicht garnix.
Unsere Psyche ist so ein Reagenzglas. Darin sind unsere Vorerfahrungen, Verletzungen, Ressourcen, Stärken, Bedürfnisse und Werte. Und je nachdem wie der Cocktail im Reagenzglas ist fällt die Reaktion eben unterschiedlich aus, wenn ein Blick, eine Bemerkung oder eine Handlung des Gegenübers darauf trifft.
Quicktipp 3: Wenn Dich Blicke, Bemerkungen oder Verhaltensweisen anderer traurig machen, überlege, ob es etwas ist, das „in Dir“ passiert, oder ob es objektiv „von Außen“ unangemessen war. Anders formuliert: Würde eine große Mehrheit anderer Personen auch verletzt oder verärgert sein? Oder ist das entstehende Gefühl eine Reaktion aus Deinen Vorerfahrungen und den Handlungen Deines Gegenübers? Wenn es in Dir liegt: Versuche mal Deinem Gegenüber zu erklären, dass dieses Verhalten – selbst wenn es nicht böse gemeint ist – bei Dir eben negative Gefühle auslöst, weil Du an diesem Punkt aufgrund Deiner Vorerfahrungen, Werte oder Bedürfnisse empfindlich bist. Möglicherweise kann die andere Person dann besser Rücksicht nehmen. Oder Dein(e) Partner(in) kann Dich besser schützen, wenn andere etwas sagen oder tun, das Dir nicht guttut.
Auf der anderen Seite: Der psychochemische Cocktail erklärt auch, warum manche Menschen aus Deiner Sicht „wegen Lappalien“ an die Decke gehen. Möglicherweise sind es nicht Deine Worte oder Dein Verhalten, die das Problem sind – sondern die Reaktion der Psyche Deines Gegenübers wenn Deine Worte oder Handlungen darauf treffen.
Nähe und Distanz
Ist Dir schonmal aufgefallen, dass ein bestimmter Satz oder eine Haltung bei Dir unterschiedliche Reaktionen auslösen – je nachdem VON WEM sie kommen? Ob es das berühmte „Hast Du abgenommen?“ ist oder eine Meinung zum Thema „Impfen“, „Religion“ oder andere weltanschauliche Fragen oder Meinungen darüber was wichtig oder nicht wichtig ist und wie man mit bestimmten Dingen umgehen sollte.
Wenn das Statement von einem Wildfremden kommt, dem wir an der Bushaltestelle begegnen ist es uns ziemlich egal. Kommt es aber von einem nahestehenden Menschen, dann regen wir uns oft unglaublich auf oder fühlen uns sehr verletzt.
Warum ist das so? Weil wir bei Fremden und Menschen, die keinen direkten Einfluss auf unser Leben haben, oft einen „emotionalen Filter“ haben. Irgendwas in uns schützt uns mit dem Filter „das betrifft mich nicht“ oder „es berührt mich nicht“. Wie andere Menschen ihr Leben führen, was fremde Leute über uns denken ist uns weniger wichtig als die Meinung und Lebensführung derjenigen, „die uns was angehen“.
Das ist nur natürlich: Was im anderen Dorf, in einer anderen Sippe, am anderen Ende der Welt geschah, war für Menschen früherer Zeiten einfach nicht so relevant. Um zu überleben mussten sich Menschen jedoch schon immer auf ihre Familie, ihren Clan, ihre Sippe, ihr Dorf verlassen.
In uns ist immer noch ein archaisches Gefühl dafür, dass es BEDEUTSAMER ist, was die Menschen, denen wir nahestehen denken, fühlen oder tun. Ihr Verhalten, ihre Meinung, ihre Reaktionen hatten ehedem weitreichende – oft unausweichliche – Folgen für das eigene Leben und womöglich sogar Überleben.
Deswegen ist es eine gute und natürliche Reaktion, dass wir Meinungen und Verhaltensweisen unseres direkten Umfeldes als wichtiger und bedeutsamer einstufen.
In unserer Zeit könnten und dürften wir uns jedoch distanzieren. Wir sind nicht mehr auf die Schwiegerfamilie angewiesen und selbst unsere eigenen Eltern und Kinder brauchen wir in einem sozialen Staat nicht mehr zur Existenzsicherung. Kognitiv haben wir die Freiheit einfach darüber zu stehen, wenn sie Ansichten oder Verhaltensweisen zeigen, denen wir nicht zustimmen. Aber emotional – ganz tief in uns drinnen – erleben wir Differenzen mit unseren Nächsten als gefährlicher oder bedrohlicher als die Ansichten einer beliebigen Person an der Bushaltestelle oder in einer Talkshow.
Quicktipp 4: Mache Dir bewusst, dass DU die Person bist, die Dir am nächsten steht und die am meisten Einfluss auf Dein Leben hat. Du kannst Die Situation jederzeit verlassen, Du kannst den Kontakt abbrechen oder trotz der Verbundenheit ganz anders leben als eine andere Person aus Deiner Familie und Deinem Freundeskreis. Das erlaubt es Dir über solchen Sprüchen, Ansichten und Verhaltensweisen „drüber zu stehen“. Idealerweise einigt ihr Euch auf ein „Agree to Disagree“ und versucht das strittige Thema zu vermeiden. Ihr seid unterschiedlicher Meinung, wie man mit bestimmten Dingen umgehen soll? Okay. Das muss nichts mit Euren Gefühlen füreinander zu tun haben. Denn das Gute ist: Übereinstimmung in Weltanschaulichen Fragen ist nicht mehr existenziell wichtig in einer pluralisierten, globalen Welt in der wir uns auch außerhalb von Familie und Dorf Hilfe holen oder mit Gleichgesinnten anderswo auf der Welt kommunizieren können.
Annahmen und Interpretationen
Natürlich KANN es sein, dass der Vorwurf wirklich mitschwingt. Es kann aber auch sein, dass das etwas ist, das nur in unserem Kopf passiert (siehe Tipp 3).
Manche hören bei der Feststellung, dass der Braten trocken sei auch eine Entschuldigung heraus und fangen an den anderen Trösten zu wollen: „Oh – so schlimm ist es nicht!“ oder sie sagen: „Mach Dir keine Sorgen – das passiert jedem von uns mal!“. Und dann wundern sie sich, dass der andere verschnupft ist. Weil hier eine Selbstaussage in die Sachbotschaft hineininterpretiert wurde. Wir unterstellen einen Selbstaussage und glauben, der andere habe mit der Feststellung über den braten auch gesagt: „Ich habe es verbockt – tut mir leid, dass der Braten trocken wurde.“. Hat er aber nicht. Und er ist verständlicherweise sauer, dass die sachliche Aussage über den Braten so fehlinterpretiert wurde.
Quicktipp 5: In schwierigen Kommunikations-Situationen meide unbedingt Interpretationen und Unterstellungen darüber was mit einer Sachaussage „mitgemeint“ gewesen sein könne. Konzentriere Dich ausschließlich auf den Sachinhalt und „überhöre“ jeglichen Appell, Aussagen über die Beziehung oder den Sprecher selbst. So kannst Du vermeiden, dass Gesagtes, Gemeintes und Ungesagtes in der Emotionalität der Feiertage zu einem explosiven Gemisch werden, das beim kleinsten Funken zur verbalen und emotionalen Katastrophe führt.
Und damit komme ich zum Ende meiner Quick-Tipps für die Feiertage. Berichte mir doch in den Kommentaren, welche Gedanken für Dich hilfreich sind – und nach den Festtagen ob Deine Familienzeit etwas erholsamer und entspannter gelaufen sind, als früher.
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