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Lebenswertes Leben?

Lebenswertes Leben?

Der Bluttest auf Down-Syndrom und andere Trisomien ist Kassenleistung … und langsam wird es Zeit, Stellung zu beziehen. Was machen wir jetzt damit? Ist es gut für die Frauen, wenn sie “es“ jetzt wissen? Oder verurteilen wir die Schwangeren, die nicht Mutter eines solchen Kindes sein wollen? Ist es nicht natürlich erleichtert zu sein, wenn der Test negativ ist? Haben Frauen nicht das Recht auf eine unbeschwerte Schwangerschaft und auf Selbstbestimmung?? Ist IHR Leben, denn mit einem behinderten Kind noch lebenswert?  Ich bin gefragt worden, was ich darüber denke – und hier ist meine persönliche Haltung dazu:

Ich verurteile niemanden, der es wissen will. Ich verurteile auch niemanden, der Erleichterung verspürt, wenn sich herausstellt, dass das Kind keine Behinderung hat. Oder wenn der Diabetes-Test zeigt, dass man keinen Diabetes hat. Oder wenn die Zöliakie-Diagnostik sagt, dass keine Zöliakie vorliegt.

Ich sage mal ganz ehrlich: Ich finde Down-Syndrom NICHT bereichernd. Ich finde DS ist eine Bürde für unsere Kinder und eine Herausforderung für uns Eltern.

Aber das ist mit Hochsensibilität genauso. Das ist mit Rheuma, Unfall-Folgen, Alter, Demenz, Übergewicht genauso.

Natürlich wünschte ich, meine Tochter hätte nicht so viel Mühe zu lernen. Natürlich wünschte ich, sie könnte ihre Wünsche und Bedürfnisse klar ausdrücken. Aber: Finja lebt. Sie kann – obwohl sie einer der „schwerer betroffenen Menschen mit DS“ ist – selbständig atmen, lachen, essen, laufen, fernsehen, Unmut kundtun, Tomaten aus der Küche klauen, Eis essen. Sie ist ein fröhliches und vergnügtes Mädchen – mit einem Körper, der vielleicht nicht optimal dafür geeignet ist geistige oder körperliche Bestleistungen zu bringen, der aber genügt um ein gutes Leben zu führen.

Das Leben ist nun mal so. Es GIBT Dinge in der Welt, die unangenehm sind und manches ist schwer zu händeln.

ABER: Das ist das LEBEN. Es ist unsere Aufgabe, damit zurecht zu kommen.

Ich bin nochmal ehrlich: Abtreibung ist für mich eine nicht akzeptable Tötung von menschlichem Leben.

Sollten Frauen nicht ein Recht auf Selbstbestimmung haben?

Ja – es gibt ein Recht auf Selbstbestimmung. Dieses Recht kann jede Frau in unserer Zeit und Kultur wahrnehmen: Wir entscheiden OB wir Sex haben, ob er geschützt oder ungeschützt ist und meinetwegen können wir auch darüber nachdenken mit Hormonen in unseren (eigenen!) Körper einzugreifen.

ABER: An dem Punkt an dem das Leben eines anderen Wesen ins Spiel kommt, GIBT es keine SELBSTbestimmung mehr.

Hier wird die Bequemlichkeit und den Komfort des einen Wesens (der Mutter) über das grundsätzliche Lebensrecht eines anderen Wesens (des Kindes) gestellt.

Das halte ich für falsch.

Also ist der Bluttest in jedem Fall abzulehnen?

Ganz ehrlich: Ich finde es absolut okay „es wissen zu wollen“. Wir wollen das Geschlecht wissen, wir wollen wissen, ob alles okay ist – und ob wir dazu die Karten legen, im Kaffeesatz lesen, Schwangerschaftstests, Nackenfalten- oder Bluttests machen … das ist im Prinzip egal.

Es ist für mich okay, sich vorbereiten zu wollen, eventuelle Risiken frühzeitig zu versichern, das perfekte Krankenhaus zu suchen. Wenn es darum geht, dass mit diesem Test der Start ins Leben optimal gestaltet werden soll: JA! Dann bin ich FÜR diesen Test.
Insbesondere, wenn dieser Test das Risiko einer Fehlgeburt, durch die grauenhafte veraltete Technik der Fruchtwasser-Untersuchung reduziert!

Wenn dieser Test einer Frau aber die Möglichkeit der „Selbstbestimmung“ geben soll – also die Chance im Falle von DS abzutreiben – dann widerspricht das schlicht und ergreifend unserem Gesetz und zudem meinem ethischen Verständnis.

Ein Kind DARF nicht wegen einer Behinderung abgetrieben werden. Frauen dürfen abtreiben, wenn ihre eigene Gesundheit gefährdet ist. Das finde ich gut und richtig so. Wenn Leben gegen Leben abgewogen werden muss, ist es nachvollziehbar, dass ein Mensch sein eigenes Leben dem eines anderen, noch werdenden Wesens vorzieht.

ABER: Das Leben der Mutter ist in den allermeisten Fällen eben NICHT gefährdet. Frauen treiben nicht ab, weil sie sich mit einem Kind mit DS von der Brücke stürzen oder in Depression verfallen würden.

Sie treiben ab, weil sie schlecht informiert sind. Sie treiben ab, weil unsere Gesellschaft mehr Geld in die Entwicklung eines Tests infvestiert – als in eine saubere, ehrliche und faire Beratung und Unterstützung für Schwangere, die ein Kind mit einer Behinderung erwarten. Sie treiben ab, weil ihre Freunde, Nachbarn, Bekannten sagen: „Das musst du dir doch nicht antun!“ und weil unsere Gesellschaft das Gefühl vermittelt, dass ein Leben mit Behinderung irgendwie weniger Wert sei.

Was ein Leben mit Down-Syndrom wirklich bedeutet ..

Ganz ehrlich: MEIN Leben mit DS ist zwar schwerer, härter, anstrengender geworden – und ich wünschte, dass MEIN Kind eine Pille nehmen und nicht mehr mit seinen Handicaps leben müsste …

ABER: Mein Leben ist auch erheblich lebenswerter geworden. Mein Leben ist ein echtes Leben. Mit Herausforderungen, Wachsen, Werden, Trauer und Freude.

Ich denke, diese Frauen wissen nicht, was sie da abtreiben. Ihnen ist nicht bewusst, dass sie nicht nur einem Menschen sein Leben nehmen, sondern darüber hinaus SICH SELBST etwas Wesentliches nehmen:

Nämlich eine so WESENTLICHE Dimension des Lebens.

Mit Schwierigkeiten, Hindernissen, Traurigkeiten umzugehen IST einfach etwas unbeschreiblich Wichtiges. Wer alle Schwierigkeiten, Mühen und Traurigkeiten meidet, der lebt vielleicht sorglos in seinem kleinen Paradies dahin, das darauf aufgebaut ist wegzuschauen, wegzumachen, wegzugehen … aber was genau HAT so ein Mensch dann vom Leben?

Anteilnahme, Mitgefühl, Selbstwirksamkeit, Resilienz, inneres Wachstum, Lebendigkeit, tiefe Freude, echte Gefühle … die wachsen an und mit den Herausforderungen des Lebens. In diesem Sinne bereichert die Behinderung meiner Tochter auch mein Leben und inneres Wachstum. Ich bin emotional und sozial gereift und habe mich entwickelt. MEIN Leben IST lebenswert – und das der Mütter mit denen ich arbeite um ihnen ihren Job als Special-Needs-Moms zu erleichtern auch. Mir ist in meiner langjährigen Arbeit mit Müttern von Kindern mit Down-Syndrom NOCH NIE  Frau begegnet, die nach dem ersten Schock der Diagnose noch der Auffassung gewesen wäre, dass es besser gewesen wäre in der Schwangerschaft zu testen und dann „die Konsequenzen zu ziehen“.

Wegschauen, Weggehen, Wegmachen – das ist KEIN Weg, der uns menschlich voran bringt.

NEIN – weder vor dem Gesetz, noch nach meine ethische Grundüberzeugung, ist es akzeptabel, dass eine Frau den Test macht um die Grundlage für eine „selbstbestimmte Entscheidung“ zu treffen.

Denn erstens bestimmt sie hier nicht über sich selbst – und zweitens treffen die allermeisten Frauen eine Entscheidung, die sie gar nicht „selbst“ bestimmen. Sie werden bestimmt von dem, was ihnen Ärzte, Gesellschaft, Zeitschriften, Schwiegermütter über das Leben mit DS sagen.

ECHTE Selbstbestimmung KANN nur stattfinden, wenn jemand das Leben mit DS kennt. Und DANN sagen nahezu alle Leute, die WIRKLICH einen Verwandten oder Freund mit DS haben – dass es okay ist mit DS zu leben. Zumindest: Besser als gar nicht zu leben…

Was denkt ihr darüber? Hinterlasst mir gern einen Kommentar oder weiterführende Fragen.

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