Windeln auf Rezept
Keine Zuzahlung für Windeln und Inkontinenzprodukte
Neues Urteil bestätigt das Recht auf ausreichende und gute Produkte
„Wir müssen für unsere Windel-Lieferung immer zuzahlen!“. „Der Versorger sagt uns stünden nur 4 Windeln am Tag zu!“. „Wir kriegen nur qualitativ schlechte Windeln!“. „Unsere Kasse zahlt keine Pants!“.
Solche und ähnliche Nachrichten erreichen mich jede Woche. Und seit Jahren wiederhole ich gebetsmühlenartig §33 SGB V, der besagt, dass den Versicherten die Hilfsmittel zustehen, die zum Ausgleich seiner Behinderung notwendig sind. Dabei gilt für „Zum Verbrauch bestimmte Hilfsmittel“, dass Kinder gar nichts und Erwachsene maximal 10 € pro Monat zuzahlen müssen.
Immer wieder wurde in der Vergangenheit von den Versorgern – aber auch manchmal von den Kassen – behauptet, dass nur eine bestimmte Menge, nur eine bestimmte Art oder nur eine bestimmte Qualität von Windeln / Inkontinenzprodukten für die Versicherten kostenfrei zu erhalten sei. Immer wieder wird auf die „Budgets“ hingewiesen, die zwischen der Kasse und dem Leistungserbringer vereinbart wurden.
Fakt ist: EUER Vertrag besteht mit der Krankenkasse. Und für die Krankenkasse gilt das Gesetz. Nämlich in diesem Fall §33 SGB V.
Wie kommt es nun zu dieser „Wirtschaftlichen Aufzahlung“?
Der Versorger – egal ob Apotheke oder ein großer Windel-Lieferant – hat einen Vertrag mit Eurer Krankenkasse. In diesem Vertrag übernimmt er die Verpflichtung der Kasse Euch angemessen zu versorgen und bekommt dafür pauschal einen bestimmten Betrag pro Person.
Diese Beträge sind eben Pauschalen. Das heißt: Der Versorger erhält das gleich Geld für Person A, die nur 2 Windeln am Tag braucht, wie für Person B, die 6 Windeln benötigt. Das nennt sich „Mischkalkulation“: An der einen Person verdienen die Versorger mehr, bei anderen weniger und bei manchen gar nichts oder sie zahlen sogar drauf. Das ist bei den großen Versorgern wirtschaftlich so durchkalkuliert. Der Gesamt-Vertrag lohnt sich immer noch für den Versorger, auch wenn sie bei einzelnen Personen nichts verdienen oder draufzahlen.
Für die kleine Apotheke nebenan ist es natürlich schwierig, da mitzugehen. Da relativiert sich der Betrag nicht immer durch große Umsatzmengen. Deswegen sind Versorgungen bei denen die Apotheken draufzahlen müssen für die natürlich blöd.
Natürlich möchten auch die großen Versorger nicht gern auf Kosten sitzen bleiben. Sie haben auch kein Interesse daran hochwertige, funktionale und bequeme Produkte zum Null-Tarif rauszugeben. Und deswegen stellen sie billige und oft qualitativ nicht ausreichende Windeln zur Verfügung, die sie den Versicherten für den Pauschalpreis anbieten – und behaupten, dass für „höherwertige Windeln“ ein „wirtschaftlicher Aufschlag“ notwendig sei.
Nun funktionieren diese Basis-Versorgungs-Windeln aber nicht für jedes Kind. Bei manchen passen sie einfach nicht. Andere Kinder wollen sich viel bewegen oder an Kindergarten, Schule oder Therapien teilnehmen. Sie benötigen saugfähige Inkontinenzprodukte, die nicht auftragen und in denen ihre Beweglichkeit und Entwicklung nicht eingeschränkt wird.
Die Windel soll ihre Behinderung ja AUSGLEICHEN und sie nicht zusätzlich behindern.
Viele Kinder brauchen – gerade im Toilettentraining – Pants ohne Klebe-Mechanismus, die sie selbst allein oder mit Assistenz hoch- und runterziehen können.
Andere Kinder brauchen aufgrund zusätzlicher Darm-Probleme oder weil sie viel trinken, besonders viele oder besonders saugfähige Windeln.
Und sehr viele Kinder brauchen 2 völlig unterschiedliche Produkte für Tag bzw. Nacht, weil sie tagsüber ein dünnes, saugfähiges, nicht auftragendes Produkt für die Teilhabe am Leben benötigen und nachts eine Klebewindel mit extremer Saugkraft, weil sie Nachts nicht geweckt werden wollen bzw. im Bett gewickelt werden.
All das ist völlig normal! Und all das steht unseren Kindern zu!
Trotzdem wurde immer wieder -oft mit Billigung der Kassen- eine „wirtschaftliche Aufzahlung“ von den Versorgern erhoben. So wurden die Kosten für eine angemessene Windelversorgern teilweise an die Eltern abgewälzt.
DAS IST NICHT RECHTENS. War es auch nie.
Und das wurde jetzt durch ein Urteil des Sozialgerichts Frankfurt bestätigt. Rechtsanwalt Christian Au hat das Urteil erwirkt. Er schreibt dazu:
„Heute haben wir ein Urteil erstritten, das in der Krankenkassenlandschaft einige Wellen schlagen wird. Eine Krankenkasse muss unserem Mandanten mehrere Tausend Euro erstatten, die er für seine erforderliche Inkontinenzhilfsmittelversorgung als „wirtschaftliche Aufzahlung“ leisten musste.
Das Sozialgericht ist unserer Argumentation gefolgt, dass die zwischen den Kassen und Leistungserbringern vereinbarten Versorgungspauschalen für den Versicherten keine rechtliche Relevanz haben. Er hat gem. §33 SGB V einen Anspruch auf die Versorgung mit den Hilfsmitteln, deren Qualität und Stückzahl zum Ausgleich seiner Behinderung erforderlich sind. Dieser Anspruch kann nicht durch zwischen Kassen und Leistungserbringern vereinbarte Festpreise eingeschränkt werden.“
Es handelt sich hierbei um ein Urteil des SG Frankfurt am Main vom 08.03.2024. (AZ: S34 KR 850/12)
Damit wurde auch meine Rechtsauffassung bestätigt, die ich in den letzten 10 Jahren in zahllosen Seminaren und Coaching-Gesprächen erläutert habe. Und damit hoffe ich, dass ich heute zum letzten, zum allerletzten Mal sage:
„Für Windeln in ausreichender Menge und angemessenere Qualität müssen Kinder KEINEN CENT zuzahlen, wenn diese dem Ausgleich einer Behinderung dienen.“